Keine Gutachterin in Prozess

Psychiaterin äußerte sich in Interview zu Vergewaltigung in Hamburg

22.12.2023, 17:55 (CET)

Einer Psychiaterin wird vorgeworfen vor Gericht eine Gruppenvergewaltigung gerechtfertigt zu haben. Ihre Aussagen fielen aber in einem Interview und eine Rechtfertigung findet sich darin nicht.

Gerichtsurteile bei Sexualdelikten polarisieren oft. So auch der Prozess um eine Gruppenvergewaltigung im Hamburger Stadtpark. Einer Psychiaterin wird nun in einem Facebook-Post vorgeworfen, die Taten der Angeklagten gerechtfertigt zu haben, weil sie vor Gericht angeblich gesagt haben soll: «Sex ist eben auch ein Mittel, um Frust und Wut abzulassen, ein Mittel der Abwehr von Trauer und Leere, und in einer Gruppe von Männern mit gleichem Schicksal wirkt es auch identitätsstiftend und stärkt das Gruppengefühl.» Die Psychiaterin soll der Ansicht sein, Gruppenvergewaltigungen seien ein Mittel, um «Dampf abzulassen». Stimmt das?

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Nahlah Saimeh war zwar mehrmals Gutachterin bei Gerichtsprozessen. Am Prozess um die Gruppenvergewaltigung im Hamburger Stadtpark war sie aber nicht beteiligt. Die Aussagen stammen zum Teil aus einem Interview mit dem Spiegel, in dem sie die möglichen Hintergründe für Sexualdelikte erklärt. Eine Rechtfertigung für die Taten lässt sich in dem Gespräch nicht finden.

Fakten

Nahlah Saimeh ist eine forensische Psychiaterin und Sachverständige bei Gerichtsverfahren. In einem am 27. November 2023 veröffentlichten Spiegel-Interview erklärt sie, welche Hintergründe bei Sexualdelikten eine Rolle spielen können. In dem Artikel steht in Bezug auf den Prozess um die Gruppenvergewaltigung in Hamburg: «Nahlah Saimeh ist forensische Psychiaterin, sie war Gutachterin in bekannten Prozessen, aber nicht in diesem.»

Trotzdem wird in den sozialen Medien fälschlicherweise behauptet, sie hätte die Aussagen aus dem Interview angeblich so in dem Prozess getätigt, um die Taten der Angeklagten zu «entschuldigen». In dem Interview geht es aber um die soziokulturellen Hintergründe, die bei solchen Taten eine Rolle spielen. «Ungeordnete, unvorbereitete Migrationserfahrungen und sozio-kulturelle Obdachlosigkeit» würden das Risiko für psychische Erkrankungen steigen lassen, was wiederum auch leichter zu Kriminalität und sexueller Gewalt führen kann.

Sie stellt klar: «Sexuelle Gewalt ist Gewalt. Und ein Teil der gewaltbereiten Menschen nimmt sich auch Sex mit Gewalt. Das Opfer wird zu einem reinen Instrument der eigenen sexuellen Befriedigung.» In dem Interview lassen sich keine Passagen finden, die die Gewalt der Täter rechtfertigen oder entschuldigen würden.

Die Jugendkammer des Landgerichts Hamburg hatte am 28. November 2023 neun Angeklagte zu Jugendstrafen verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die jungen Männer im September 2020 eine damals 15-Jährige vergewaltigt haben. Nach dem Vorfall waren in den sozialen Medien Fotos, Adressen und die abgekürzten Namen der Tatverdächtigen verbreitet worden, was zu Todesdrohungen und Aufrufen zur Lynchjustiz führte.

Im Zuge der Urteilsverkündung kursierte im Netz die Falschbehauptung, die Angeklagten in dem Prozess seien angeblich freigesprochen worden. Die vorsitzende Richterin sah sich daraufhin massiver Anfeindungen ausgesetzt. Der Hamburger Richterverein bezeichnete die im Netz kursierenden Kommentare als einen «Angriff auf den Rechtsstaat».

(Stand: 22.12.2023)

Links

Pressemeldung zur Urteilsverkündung (archiviert)

Stellungnahme Hamburger Richterverein (archiviert)

Informationen zur Sachverständigentätigkeit von Nahlah Saimeh (archiviert)

Spiegel-Artikel mit Interview (archiviert)

Zeit-Artikel mit Einzelheiten zum Prozess (archiviert)

dpa-Faktencheck zum Prozess um Gruppenvergewaltigung

Facebook-Post (archiviert)

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