Vorschlag nicht verwirklicht

Niederlande sind bis auf Weiteres an EU-Regeln gebunden

21.12.2023, 16:51 (CET)

Die Wahl in den Niederlanden hat das Kräfteverhältnis im Parlament in Den Haag verändert. Beschlüsse zur Europapolitik haben deshalb aber keine unmittelbare Wirksamkeit.

«Jetzt die Grenzen schließen», fordern Gegner der europäischen Asyl- und Migrationspolitik, die eine Abstimmung im niederländischen Parlament feiern. Die Abgeordneten in Den Haag hätten «für einen historischen Antrag gestimmt», verbreiten sie. Die Niederlande könnten nun aus der gemeinsamen EU-Politik auf diesem Gebiet «aussteigen». Genügt dazu wirklich eine Abstimmung in Den Haag?

Beurteilung

Der Antrag zielt darauf ab, dass die niederländische Regierung bei einer nächsten Änderung der EU-Verträge über eine solche Ausnahmeklausel verhandeln soll. Momentan haben die Niederlande eine solche Sonderregelung also noch nicht.

Fakten

Der Antrag, um den es geht, wurde am 12. Dezember von Caspar Veldkamp eingebracht, einem Abgeordneten der konservativen Partei NSC (Nieuw Sociaal Contract). Nach der Wahl vom 22. November gilt die NSC als möglicher Koalitionspartner einer Regierung unter Führung des Rechtspopulisten Geert Wilders (PVV). Weil auch Parlamentarier von BBB, VVD und Wilders' PVV den Antrag unterstützten, wurde er mit breiter Mehrheit angenommen.

EU-Beschlüsse bleiben für Niederlande bindend

Das bedeutet aber nicht, dass die darin bekundete Absicht ohne weiteres umgesetzt werden kann. Bis auf Weiteres bleibt die niederländische Regierung an die europäische Asyl- und Migrationspolitik gebunden.

Im Text des Antrags steht, dass dieser auf eine Resolution des Europäischen Parlaments vom 22. November reagiert. Darin ruft das Europaparlament die Mitgliedstaaten auf, die EU-Verträge so zu ändern, dass künftig über verschiedenen Themen häufiger mit Mehrheit entschieden werden kann. Das würde das Vetorecht einzelner Länder und damit mögliche Blockaden einschränken.

Der Antrag, dem eine Mehrheit im niederländischen Parlament zustimmte, fordert die dortige Regierung auf, im Fall einer solchen EU-Vertragsänderung eine Ausnahme in der Asyl- und Migrationspolitik für die Niederlande auszuhandeln. Bis dahin sind EU-Beschlüsse auf diesem Gebiet auch für die Niederlande bindend.

Aussicht auf Vertragsänderung ist ungewiss

Ob und wann Verhandlungen über eine Änderung der EU-Verträge beginnen, ist derzeit offen. Dazu müsste erst ein sogenannter Konvent einberufen werden. Ob die Niederlande dann eine Ausnahmeregelung durchsetzen könnten, ist auch keineswegs sicher, wie niederländische Medien bereits analysierten.

Selbst wenn es einer niederländischen Regierung gelingen sollte, ein solches sogenanntes Opt-out in der Asyl- und Migrationspolitik durchzusetzen, hieße das noch nicht, dass die Niederlande einseitig die Grenzen schließen können. Das Land muss sich auch noch an andere internationale Abmachungen halten.

Die Niederlande sind - wie Deutschland - Teil der Schengenzone. Deren Mitglieder können nicht einfach wieder Grenzkontrollen einführen. Darüber hinaus haben die Niederlande auch die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Auf diese Verträge hätte eine Ausnahmeregelung zur EU-Asylpolitik keine direkte Auswirkung.

Europäische Opt-out-Regelungen

Mitgliedstaaten mit Opt-out-Regelungen müssen sich auf einem bestimmten Politikfeld nicht an die einschlägigen EU-Regeln halten. Auf diese Weise kann die Europäische Union den Prozess der Integration fortsetzen, auch wenn einzelne Staaten nicht mitziehen.

Seit dem Vertrag von Maastricht vom Februar 1992, der die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union machte, wurden mehrere Nichtbeteiligungsklauseln in die europäischen Verträge aufgenommen. So war Großbritannien bis zu seinem EU-Austritt nicht an die EU-Beschlüsse zur Wirtschafts- und Währungsunion gebunden, die unter anderem den Euro umfassen. Auch der Schengenzone gehörte das Vereinigte Königreich nie an.

Dänemark hatte Ausnahmeregeln zur Schengenzone, zu Sicherheit und Verteidigung, zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Asylpolitik. Das Land wurde allerdings im März 2001 Mitglied der Schengenzone. 2022 verzichtete es angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine in einem Referendum auf sein Opt-out in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Nur bei der Wirtschafts- und Währungsunion und der Asylpolitik scheren die Dänen weiterhin aus.

Irland gehört nicht zur Schengenzone und Polen hat sich Ausnahmen von der Europäischen Grundrechtecharta ausbedungen. Alle diese Sonderregeln sind bei einer Neufassung der Europäischen Verträge, wie denen von Maastricht oder Lissabon, zustande gekommen.

Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» merkte an, dass eine Opt-out-Regelung zum EU-Asylrecht für die Niederlande ein Novum wäre: Noch nie sei ein EU-Land aus einem gemeinsamen Politikfeld ausgestiegen, an dem es zuvor mitgewirkt habe. Doch bevor es so weit käme, müssten erst einmal Verhandlungen über neue EU-Verträge begonnen und erfolgreich abgeschlossen werden.

(Stand: 21.12.2023)

Links

Falscher Facebook-Post (archiviert)  

Antrag des Abgeordneten Veldkamp (archiviert)

Caspar Veldkamp (archiviert)

Regierungsbildung Niederlande (archiviert)

Resolution des Europaparlaments (archiviert)

dpa-Faktencheck zur Resolution

FAZ zu Mehrheitsentscheidungen (archiviert)

Forderung nach Grenzschließung (archiviert)

Artikel de Volkskrant (archiviert)

Schengenzone (archiviert)

Genfer Flüchtlingskonvention (archiviert)

BPB zu Opt-out (archiviert)

Geschichtliche Daten der EU-Integration (archiviert)

Gründungsverträge der EU (archiviert)

Opt-out-Klauseln (archiviert)

Dänische Ausnahmen von EU-Regeln (archiviert)

Länderprofil Dänemark (archiviert)

Artikel Politico (archiviert)

Polen und die Grundrechtecharta (archiviert)

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