Voreilige Schlüsse

Europäisches Parlament schlägt Reform der EU-Verträge vor

28.11.2023, 12:07 (CET)

Kein Vetorecht für die EU-Staaten mehr? Wenn man einigen Internetbeiträgen Glauben schenkt, hat das EU-Parlament die Macht der Mitgliedsländer stark eingeschränkt. Doch so läuft das in der EU nicht.

Das Europäische Parlament hat sich für wichtige Änderungen bei den Verträgen der Europäischen Union (EU) ausgesprochen, darunter eine Aufweichung des Einstimmigkeitsprinzips für Beschlüsse der EU-Länder. «Die Zeiten der nationalen Souveränität sind offiziell vorbei», heißt es dazu in mehreren Beiträgen auf Facebook und der Plattform X. Hat das Parlament gerade wirklich «eine Machtübernahme der EU» herbeigeführt, wie einige User behaupten?

Bewertung

Das Europäische Parlament (EP) kann die EU-Verträge, die unter anderem die Abstimmungsverfahren im Europäischen Rat regeln, nicht im Alleingang ändern. Das Parlament hat lediglich Reformvorschläge angenommen, die anschließend von den Mitgliedstaaten geprüft werden müssen.

Fakten

Am Mittwoch, den 22. November 2023, stimmte das EP einem Bericht mit Reformvorschlägen für die europäischen Verträge zu. Mit diesem Bericht reagiert das Parlament auf die «Konferenz über die Zukunft Europas». Das war eine 2021 eingeleitete Initiative zur Bürgerbefragung, die über 300 Maßnahmen zur besseren Funktionsweise der EU vorgeschlagen hatte.

Nach dem Bericht des EP soll es im Europäischen Rat weniger einstimmige Entscheidungen und damit weniger Vetorechte für die EU-Länder geben, vor allem in zentralen Bereichen wie der Außenpolitik. Das Ziel ist laut einer Mitteilung des EP, Blockaden bei bestimmten Entscheidungen zu verringern. Der Bericht wurde mit 305 Ja-Stimmen (276 Nein-Stimmen und 29 Enthaltungen) angenommen, die entsprechende Entschließung mit 291 zu 274 Stimmen bei 44 Enthaltungen.

«Das Einstimmigkeitsprinzip schwächt die EU mindestens genauso stark wie nationaler Populismus. Wir dürfen es nicht mehr zulassen, dass das Veto eines einzelnen Mitgliedstaates die Positionierung der gesamten EU blockiert», sagte die SPD-Abgeordnete und Mitverfasserin des Berichts Gabriele Bischoff.

Statt des Einstimmigkeitsprinzips schlagen die Europaabgeordneten mehr Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit (d.h. 55 Prozent der Länder, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Union vertreten) und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vor.

Daneben plädieren die Abgeordneten dafür, die Rolle des EP zu stärken, indem auch das Parlament Gesetzesinitiativen einbringen kann. Bislang darf das nur die EU-Kommission.

Ein komplexes und schwieriges Verfahren

Die Vorschläge der Abgeordneten sind noch weit davon entfernt, tatsächlich umgesetzt zu werden - anders als einige Internetnutzer behaupten. Rechtlich gesehen müssen dafür die EU-Verträge reformiert werden, was das Parlament nicht alleine tun kann.

Die EU-Staaten müssen nach Angaben des Parlaments nun entscheiden, ob sie einen Konvent für eine Überarbeitung der Verträge einberufen wollen. Eine Reform hängt also vom politischen Willen der nationalen Regierungen ab. Die spanische Ratspräsidentschaft wird die Vorschläge den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder laut Mitteilung im Dezember vorlegen.

Der Konvent sollte sich aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments, EU-Kommissaren, Abgeordneten der Mitgliedstaaten und den Staats- und Regierungschefs der EU zusammensetzen, heißt es in einer früheren Mitteilung des Parlaments. Danach muss jeder EU-Staat die Änderungen noch ratifizieren.

Gegenwind für das Parlamentsvorhaben

Der am 22. November vom EP angenommene Bericht findet nicht von allen Seiten Zustimmung. In Polen etwa hat sich Donald Tusk, ehemaliger EU-Ratspräsident und Kandidat für das Amt des Premierministers in seinem Land, zurückhaltend gegenüber den Reformvorschlägen gezeigt.

(Stand: 28.11.2023)

Links

Facebook-Beiträge I, II, III, IV, V (archiviert)

Beiträge auf X I, II (archiviert)

Bericht zu Vorschlägen des Europäischen Parlaments zur Änderung der Verträge (archiviert)

Informationen zur Konferenz über Europa (archiviert)

Mitteilung des Parlaments vom 22. November 2023 (archiviert)

Entschließung zu Vorschlägen des Europäischen Parlaments zur Änderung der Verträge (archiviert)

Informationen zur qualifizierten Mehrheit (archiviert)

Informationen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (archiviert)

Mitteilung des Parlaments vom 9. Juni 2022 (archiviert)

Artikel auf Euractiv.de (archiviert)

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