Kein Putschversuch

Video des ukrainischen Armeechefs ist manipuliert

06.12.2023, 15:03 (CET)

Im Sommer verbreiteten sich falsche Gerüchte über den angeblichen Tod von Walerij Saluschnyj im Netz. Jetzt heißt es, der ukrainische General habe angeblich in einem Video zum Putsch aufgerufen. Doch die Aufnahme ist gefälscht.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert weiter an. Seit mehr als 20 Monaten verteidigen die ukrainischen Streitkräfte ihr Land mit massiver westlicher Hilfe gegen den Aggressor. Doch zwischen der Militärführung und dem Präsidenten der Ukraine soll es nun zum Zerwürfnis gekommen sein: User verbreiten ein vermeintliches Video von Armeeoberbefehlshaber Walerij Saluschnyj. Darin sagt eine Aufnahme des Generals, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj seinen Mitarbeiter habe töten lassen. Auch er selbst solle eliminiert werden. Nun habe Saluschnyj zum Putsch aufgerufen, heißt es. Stimmt das?

Bewertung

Es lassen sich keine Hinweise für einen solchen Putschaufruf des Armeechefs finden. Im Gegenteil: Bei dem Video handelt es sich um eine Fälschung, bei der wohl Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kam. Als Grundlage für die Fälschung diente eine Aufnahme Saluschnyjs von 2022.

Fakten

In der Ukraine ist der Präsident der Oberbefehlshaber. Ihm unterstellt ist der Oberkommandierende der Streitkräfte. Das ist seit 2021 der General Walerij Saluschnyj. Bei Telegram und Facebook betreibt der Armeechef offizielle Kommunikationskanäle mit entsprechendem Verifizierungsabzeichen.

Doch weder auf dem Telegram-Kanal noch bei Facebook gibt es Hinweise auf den vermeintlich aktuellen Aufruf zum Widerstand gegen die Regierung durch Saluschnyj. Die jüngeren Beiträge stehen dazu vielmehr im Widerspruch: Zuletzt berichtete der General etwa am 22. November 2023 über seine Teilnahme an einem Treffen des Ramstein-Formats. Das passt nicht zu den Aussagen in dem kursierenden Video, das User bereits vorher, mindestens ab Mitte November, im Netz verbreiteten.

Keine Hinweise für Putschaufruf in der Ukraine

Es lassen sich auch sonst keine seriösen Informationen über einen Putschversuch in der Ukraine finden. Das ist ungewöhnlich für solch ein Ereignis: Als etwa der Chef der Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, im Juni 2023 einen Aufstand gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und die Militärführung im Kreml anzettelte, war die mediale Aufmerksamkeit groß. Prigoschin, der den Aufstand aber wieder stoppte, kam später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

In ukrainischsprachigen Medien existieren keine Berichte über einen ähnlichen Putschversuch durch General Saluschnyj. Stattdessen berichten ukrainische Medien im Zusammenhang mit dem hier untersuchten Clip von einer Fälschung und einer Desinformationskampagne Moskaus.

So warnt auch das staatliche Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation der Ukraine vor dem Video. Das Zentrum, eine Einrichtung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, sprach am 8. November von einem «Deepfake»: «Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte äußerte sich nicht zu einem Militärputsch und rief auch nicht dazu auf.» Ziel der Fälschung sei es, Panik zu schüren und die Regierung und das Militär zu spalten.

Ungereimtheiten in Video: Clip wohl mit KI manipuliert

Tatsächlich lassen sich in dem Video mehrere Hinweise für eine Manipulation finden: Die Lippenbewegungen von Walerij Saluschnyj passen in dem viralen Clip nicht zum gesprochenen Wort (zum Beispiel bei Minute 00:20). Ein ukrainischsprachiger dpa-Redakteur wies darauf hin, dass sich die Stimme Saluschnyjs in dem Video verändert anhört und nicht zum Klang in anderen Videos passe.

Diese Unstimmigkeiten sprechen für eine Fälschung durch den Einsatz von KI: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lassen sich mittlerweile Stimmen von Personen authentisch imitieren. Im Netz sind Programme frei verfügbar, mit denen man anderen Menschen Worte in den Mund legen kann, die sie nie gesagt haben. Dabei werden etwa Lippenbewegungen künstlich angepasst. Die dpa hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit solchen Fake-Videos beschäftigt, einige davon ähneln in der Machart dem nun kursierenden Videos.

Die ukrainischen Faktenchecker von «StopFake» haben den Clip zudem mit einem Programm zur Aufspürung von KI generierten Fakes analysiert. Die Analyse kam zu dem Ergebnis, dass das Video sehr wahrscheinlich mit KI verfälscht wurde.

Fälscher missbrauchen Bildmaterial aus 2022

Wie Recherchen zu ähnlichen KI-Videos in der Vergangenheit ergeben haben, dienen oft echte Aufnahmen als Grundlage. Tatsächlich lässt sich auf dem offiziellen Facebook-Account des Armeechefs ein Video finden, das dem kursierenden Fake-Clip stark ähnelt: Es wurde am 18. Februar 2022 vor dem Start der großflächigen russischen Invasion hochgeladenen. Walerij Saluschnyj erklärt darin, dass die ukrainische Armee keine Offensivoperationen in der Ostukraine plane. Zu einem Putsch ruft der General nicht auf.

Hierbei handelt es sich um das originale Bildmaterial, das für den gefälschten Clip manipuliert wurde. Dies zeigt ein Vergleich einzelner Standbilder sowie der Körper- und Kopfbewegungen von Saluschnyj. Ein Beispiel: Im Facebook-Video von 2022 schüttelt der General bei Minute 00:26 den Kopf - dieselbe Szene ist in dem Fake-Video bei Minute 00:30 zu sehen.

Die Auflösung des manipulierten Videos ist im Vergleich deutlich niedriger als die des Originals. Besonders die Konturen des Gesichts sind verschwommen. Das spricht ebenfalls für eine Videobearbeitung.

Zerrüttetes Verhältnis zwischen Selenskyj und Saluschnyj?

Das Video ist also eine Fälschung. Es soll offenbar auf mehrere zuletzt veröffentlichte Berichte über ein angespanntes Verhältnis zwischen Präsident Selenskyj und Armeechef Saluschnyj anspielen. Anfang November hatte der General in einem Aufsatz im britischen Journal «Economist» vor einem Patt im Krieg mit Russland gewarnt. Selenskyj hatte dagegen den Stillstand verneint und die Erfolge der im Juni gestarteten Gegenoffensive betont. Seitdem gibt es immer wieder Berichte über Unstimmigkeiten zwischen den beiden Figuren.

Ebenfalls Anfang November war der persönliche Assistent des Oberkommandierenden Saluschnyj bei der Explosion einer Granate aus einem Paket getötet worden. In gleichlautenden Berichten mehrerer ukrainischer Medien wurde ein Anschlag oder eine russische Spur ausgeschlossen. Innenminister Ihor Klymenko sprach später von einem Unglücksfall. Die Ermittlungen dauern an.

Für das manipulierte Video wurden der Tod des Adjutanten des Armeechefs und die Berichte über das angespannte Verhältnis nun offensichtlich vermischt. Doch dafür, dass Selenskyj für den Tod des Adjutanten verantwortlich sein könnte, gibt es weder Hinweise noch Belege. Es ist indes nicht das erste Mal, dass User im Netz Fehlinformationen um die Person Walerij Saluschnyj verbreiten. So machten im Sommer falsche Gerüchte um seinen Tod die Runde.

(Stand: 4.12.2023)

Links

Verteidigungsministerium über Führungsstruktur (archiviert)

Über Walerij Saluschnyj (archiviert)

Offizieller Telegram-Kanal (archiviert)

Offizieller Facebook-Account (archiviert)

Beitrag vom 22. November 2023 (archiviert)

«Der Spiegel»-Liveblog zum Aufstand in Russland (archiviert)

Deutschlandfunk vom 27. Juni 2023 über Wagner-Aufstand (archiviert)

«Tagesschau» über DNA-Analyse und Tod von Prigoschin (archiviert)

Artikel von «Focus.ua» zu viralem Clip (archiviert)

Warnung des Zentrums vom 8. November 2023 (archiviert)

Über das Zentrum (archiviert)

«Der Standard»-Bericht über KI und Stimmen (archiviert)

dpa-Faktencheck zu manipuliertem Video von Georg Restle

Faktencheck von «StopFake» (archiviert)

Originales Bildmaterial vom 18. Februar 2022 (archiviert / archiviertes Video)

dpa-Meldung vom 4. November 2023 (archiviert)

dpa-Meldung vom 6. November 2023 (archiviert)

Correctiv-Faktencheck (archiviert)

Facebook-Post (archiviert / archiviertes Video)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.