Historische Waldbewirtschaftung

Mittelwälder werden heutzutage nur noch wenig angelegt

26.09.2023, 15:50 (CEST)

Wälder dienen zur Erholung und sind unsere Lebensgrundlage. Will man sie in Bayern nun systematisch dezimieren?

Der Wald ist den Deutschen lieb und wichtig - Gerüchte von Abholzung lösen oft große Aufregung aus. Aktuell ist zum Beispiel in den sozialen Netzwerken in einem Video zu hören, dass Förster laut einem Bericht im Bayerischen Rundfunk Kommunen und Privatwaldbesitzern empfehlen, Laubwälder aufzulichten und zum Beispiel Mittelwälder daraus zu machen. Dabei blieben nur einzelne große Bäume stehen und der Rest würde abgeholzt, um den Wald «klimafit» zu machen. Soll hier wirklich «intakter Wald gegen jede Vernunft kaputt gemacht werden», wie zu lesen ist?

Bewertung

Nein, es gibt laut Bayerischer Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft keine derartigen Empfehlungen seitens der Förster. Mittelwälder sind ein historisches Bewirtschaftungskonzept, das hierzulande nur in wenigen Fällen noch Anwendung findet - und dann aus Naturschutzgründen.

Fakten

Das Video stammt ursprünglich aus einem Beitrag in den sozialen Netzwerken im Juni 2023. Dort wird als Referenz ein Magazinbeitrag aus dem gleichen Monat im Bayerischen Fernsehen angegeben. Doch dort geht es gar nicht um staatliche Empfehlungen, denn es gibt keine, wie die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF)auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur(dpa) mitteilt.

Der Mittelwald in Franken

In dem Videobeitrag im Bayerischen Fernsehen wird ein Förster bei der Begehung eines Buchenwaldes in Oberfranken gezeigt, während er Bäume markiert, die gefällt werden sollen. Seine Idee dahinter: Den von Trockenheit geschädigten Wald retten, indem er in einen sogenannten Mittelwald umgewandelt wird. Dabei handelt es sich jedoch um eine Empfehlung eines Försters in einem spezifischen Gebiet, nicht um eine Strategie der Bayerischen Forstämter.

«Mittelwälder sind eine historisch überlieferte, traditionelle Waldbewirtschaftungsform», erklärt Hans-Joachim Klemmt vom LWF Bayern auf Anfrage der dpa. Heute würde diese arbeitsintensive Bewirtschaftungsform nur mehr im Nordwesten Frankens und auf sehr kleinen Flächen betrieben. «In Bayern gibt es somit keine generellen Empfehlungen der Forstämter, Buchen- oder Laubwälder aufzulichten.»

Wohl aber gebe es Beratungen für Waldbesitzer, um klimastabile, strukturreiche Mischwälder zu schaffen. Das erfordere ein abgestimmtes und kontinuierliches Vorgehen über mehrere Generationen, so Klemmt weiter, der beim LWF Leiter der Abteilung «Waldbau und Bergwald» ist. «Das konkrete Vorgehen im Einzelfall ist stets an die standortliche Ausgangssituation, wie Klima, Geologie oder Boden, gebunden.»

Die bayerischen Wälder würden in aller Regel als geschlossene Hochwälder bewirtschaftet, stellt Klemmt fest. Allerdings herrsche gerade in Mittelwäldern wiederum eine sehr große Biodiversität. «Deswegen kann es im Einzelfall aus Naturschutzgründen – weniger aus Klimaschutzgründen – sinnvoll sein, Mittelwälder zu erhalten und kleinstflächig neu zu begründen.»

Auch Judith Reise, Expertin für Waldökologie am Öko-Institut in Freiburg, sagte der dpa auf Anfrage, dass ein Mittelwald aus Sicht der Biodiversität sicherlich schützenswert sei. Von einer allgemeinen Empfehlung von Förstern, als Maßnahme gegen den Klimawandel Mittelwälder zu schaffen, habe auch sie nichts gehört.

Aus diesem Grund angeblich bestehende Buchenwälder aufzulichten, sehe sie auch kritisch, sagte sie der dpa. So seien ihr zwar Studien zu jungen Fichtenwäldern bekannt, bei denen das Wachstum des Einzelbaums von einer Auflichtung profitiert habe, weil die Wasserverfügbarkeit angestiegen sei. «Aber bei Buchenwäldern scheint das ganz anders zu sein, da dieser bei uns heimische Waldökosystemtyp auf ein kühles Innenklima angewiesen ist», so die Expertin weiter.
Untersuchungen bei Buchen im Lübecker Stadtwald hätten beispielsweise gezeigt, dass eine Auflichtung genau die falsche Reaktion auf Trockenheit sei.

Artenvielfalt im Mittelwald

Der Mittelwald ist ein traditionelles Prinzip der Waldbewirtschaftung, das ursprünglich auf Holzgewinnung abzielte und bis ins 20. Jahrhundert in Deutschland verbreitet war. Dabei bleiben nur wenige alte Bäume in größeren Abständen stehen. Dazwischen sind nun mehr Licht und auch Wasser für andere Pflanzen verfügbar, was wiederum attraktiv für eine Vielzahl an Insekten und teils sogar bedrohte Vogelarten ist.

Nach den Ergebnissen der dritten Bundeswaldinventur aus dem Jahr 2012 werden in Bayern aber gerade einmal ein Prozent der Waldfläche als Mittelwald bewirtschaftetet - bundesweit seien es sogar nicht einmal 0,5 Prozent gewesen, berichtet Hans-Joachim Klemmt vom LWF. «Bei der Entscheidung und Bewirtschaftung eines Mittelwaldes sind unterschiedlichste Aspekte zu berücksichtigen. Pauschale Empfehlungen sind daher nicht möglich und gibt es seitens der Bayerischen Forstverwaltung auch nicht.»

(Stand: 25.9.2023)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Video aus Facebook-Post (archiviert)

Original-Post von Juni 2023 (archiviert)

Beitrag für «Unser Land» von Juni 2023 im BR (archiviert)

Link zur Sendung (archiviert)

Über Mittelwälder (archiviert)

Mittelwald-Projekt im Naturschutzpark Kottenforst (archiviert)

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