Einzelfälle fehlinterpretiert

Kein Beleg für Häufung medizinischer Notfälle unter Piloten

30.08.2023, 16:41 (CEST)

Herzstillstände passieren täglich hunderttausendfach. Das kann auch Piloten bei der Arbeit treffen. Es gibt aber keine seriösen Erkenntnisse, dass sich solche Fälle häufen.

Eine Notlandung mit dem Flugzeug aufgrund eines Herzinfarkts des Piloten oder der Pilotin ist wohl für viele Reisende eine unheimliche Vorstellung. In einem im Netz kursierenden Blogbeitrag wird nun nahegelegt, dass es eine «mysteriöse Serie von Herzinfarkten unter Piloten gebe». Als Beleg dafür werden fünf solcher Fälle im August 2023 aufgezählt. Auch ab Frühjahr 2021 soll es angeblich eine «auffällige Häufung» von Fällen medizinischer Notfälle unter Piloten gegeben haben. Hier wird zudem ein angeblicher Zusammenhang mit der Corona-Impfung angedeutet. Damals begann die weltweite Impfkampagne. Doch diesen Mutmaßungen fehlt bisher jegliche belastbare Grundlage.

Bewertung

Nur bei einem der fünf erwähnten Notfälle unter Piloten ist ein Herzinfarkt bekannt. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit hat keine Hinweise darauf, dass Untauglichkeiten von Piloten während des Fluges häufiger vorkommen als vor der Pandemie. Bereits im Jahr 2021 dementierte eine US-Pilotenvereinigung, dass es vermehrt zu Todesfällen komme.

Fakten

Eine weltweite Statistik über medizinische Notfälle von Piloten während des Fluges gibt es nicht. Daher ist es nur eingeschränkt möglich festzustellen, ob es tatsächlich Serien oder auffällige Häufungen solche Vorfälle gibt. Nicht dafür geeignet ist eine simple Aufzählung von Berichten über Einzelfälle. Denn dabei wird nur ein kurzer Zeitraum betrachtet, kein Vergleichszeitraum angeben oder ein Bezug zur Anzahl der Flüge insgesamt hergestellt.

Vorfälle mit medizinischen Notfällen an Bord werden von Behörden beobachtet, da sie im schlimmsten Fall auch eine Gefahr für die Sicherheit von Reisenden und des Luftverkehrs sein können. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) teilte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit, dass sie derzeit keine Auffälligkeiten beobachte. «Der EASA liegen keine Hinweise darauf vor, dass der Anteil der Flugunfähigkeitsfälle höher ist als in den Jahren vor der Pandemie», schrieb eine Sprecherin. Gerüchte darüber hätten die Behörde nach eigenen Angaben erreicht. Doch bisher seien keine glaubwürdigen Informationen präsentiert worden, die belegen würden, dass es für diese Behauptung eine tatsächliche Grundlage gebe.

Grundsätzlich zeigen Studien, dass kardiologische Notfälle von Piloten während des Fluges sehr selten sind: Eine Untersuchung von Piloten in den USA über einen Zeitraum von 20 Jahren (zwischen 1995 und 2015) fand bei 0,1 Prozent der US-Piloten einen Vorfall von Untauglichkeitsvorfällen während des Fluges. Kardiologische Notfälle an Bord betrafen 0,01 Prozent der Piloten.

Nicht alle Fälle trugen sich wie behauptet zu

Als vermeintlicher Beleg für eine angeblich auffällige Serie werden in sozialen Medien fünf Fälle präsentiert, in denen Piloten an Bord eines Flugzeugs medizinische Notfälle hatten und in drei Fällen starben.

Vier dieser fünf Fälle gab es nachweislich - bei einem Fall ist das nicht gesichert. Einmal war zudem ein Passagier betroffen, kein diensthabender Pilot.

Falsch ist, dass in jedem Fall nachweislich ein Herzinfarkt dahinterstand. Darüber ist nur in zwei Fällen eine Erwähnung auffindbar. In den anderen drei Fällen werden genaue medizinische Hintergründe nicht erwähnt. Es ist also irreführend und unbelegt, hier von einer «Serie von Herzinfarkten» zu sprechen.

Im Fall eines Co-Piloten an Bord des Tigerair-Flugs IT237 von Japan nach Taiwan berichtete die taiwanische Verkehrssicherheitsbehörde: Nach der Landung am Flughafen in Taipeh am 7. August 2023 habe der Co-Pilot das Bewusstsein verloren. Er sei wieder zu sich gekommen, als das Flugzeug in der Parkposition angekommen sei. Danach sei er medizinisch untersucht worden. Einem Medienbericht zufolge, der sich auf eine Stellungnahme der Fluglinie Tigerair beruft, soll der Co-Pilot am nächsten Tag aus dem Krankenhaus entlassen worden sein. Ob der Co-Pilot einen Herzinfarkt oder überhaupt etwas am Herzen hatte, wurde nicht mitgeteilt und ist derzeit Spekulation.

Über den Fall eines Piloten, der auf dem United-Airlines-Flug 1309 von Sarasota, Florida, nach Newark, New Jersey, einen nicht tödlichen Herzinfarkt erlitten haben soll, gibt es als Ursprungsquelle nur einen Post am 9. August 2023 auf der Plattform X, zuvor bekannt als Twitter. Der Post zeigt eine angebliche Zusammenfassung des Vorfalls auf einem Foto. Woher diese Zusammenfassung stammt oder ein genaues Datum, wann der Vorfall passiert sein soll, wird nicht genannt. Berichte mit nachprüfbaren Quellenangaben über einen solchen Vorfall sind nicht auffindbar. United Airlines antwortete bisher nicht auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) diesbezüglich. So bleibt unklar, ob sich dieser Fall wie behauptet ereignet hat.

Über den Fall eines an Bord verstorbenen Piloten des Latam-Flugs 505 von Miami in den USA nach Santiago di Chile in Chile, haben mehrere Medien berichtet. Ein chilenisches Medium veröffentlichte auch die Stellungnahme der Fluglinie Latam, auf die sich viele Medien bezogen. Demnach verlor der Pilot an Bord das Bewusstsein und wurde nach einer Notlandung trotz Wiederbelebungsversuchen für tot erklärt. Woran der Pilot starb oder ob er einen Herzinfarkt hatte, wurde nicht mitgeteilt und ist derzeit Spekulation.

Pilotenvereinigung nannte schon 2021 Behauptungen über angeblich erhöhte Todesfälle falsch

Über den Fall eines Mannes, der am 16. August an Bord des Qatar Airways Flug QR579 vom indischen Delhi nach Doha in Katar verstarb, gibt es Berichte der «Times of India» und von «Doha News». Es soll sich demnach um einen Passagier handeln, der allerdings von Beruf Pilot war. Weitere offizielle Quellen sind in diesem Fall nicht auffindbar. Auf einem Portal für Flighttracking ist jedoch nachvollziehbar, dass der erwähnte Flug außerplanmäßig in Dubai landete. Woran der Passagier starb oder ob er einen Herzinfarkt hatte, wurde nicht genau berichtet und ist derzeit Spekulation.

Im Fall eines Piloten der indischen Fluglinie IndiGo, der vor Betreten des Flugzeugs am Gate des Flughafens in Nagpur zusammenbrach und auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb, wurde die Ursache tatsächlich als plötzlicher Herztod angegeben. Das berichtete die indische Nachrichtenagentur PTI unter Berufung auf das behandelnde Krankenhaus.

Bereits im Jahr 2021 dementierte die Pilotenvereinigung Alpa, die Piloten US-amerikanischer und kanadischer Fluggesellschaften vertritt, dass es eine Rekordzahl von Todesfällen unter Piloten gäbe. Zuvor war eine Liste mit Erinnerungen an Verstorbene fehlinterpretiert worden. Im Januar 2023 hatte die US-amerikanische Luftfahrtbehörde (FAA) der Nachrichtenagentur AP mitgeteilt, dass sie keine Belege dafür habe, dass Unfälle oder Fluguntauglichkeiten von Piloten mit medizinischen Komplikationen in einer Verbindung mit der Covid-Impfung stehen.

Impfgegner versuchen immer wieder, unerwartete Todesfälle oder Erkrankungen, über die medial berichtet wurde, mit der Covid-Impfung in Verbindung zu bringen. Dass dies meist falsch oder gänzlich unbelegte Spekulation ist, hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) in mehreren Faktenchecks beschrieben. Auch wenn immer wieder fälschlich das Gegenteil behauptet wird: Das Risiko einer schweren Nebenwirkung der Covid-Impfung ist sehr gering.

(Stand: 30.8.2023)

Links

Sicherheitsbericht der EASA

Studie über kardiologische Notfälle von Piloten während des Fluges in den USA zwischen 1995 und 2015 (archiviert)

Mitteilung des Transportation Safety Boards in Taiwan über Vorfall mit Co-Pilot am 7. August (archiviert)

Bericht der «Taipei Times» über den Vorfall mit Co-Pilot am 7. August (archiviert)

Post auf X über angeblichen Vorfall bei United Airlines (archiviert)

Artikel der «New York Times» über Vorfall an Bord der Latam-Maschine am 14. August (archiviert)

Artikel von CBS über Vorfall an Bord der Latam-Maschine am 14. August (archiviert)

Chilenischer Medienbericht über Vorfall an Bord der Latam-Maschine am 14. August (archiviert)

Medienbericht der «Times of India» über Todesfall eines Passagiers an Bord einer Maschine von Qatar Airways am 16. August (archiviert)

Medienbericht von «Doha News» über Todesfall eines Passagiers an Bord einer Maschine von Qatar Airways am 16. August (archiviert)

Archivansicht einer Flighttracking-Seite mit Hinweis auf umgeleiteten Flug QR579

Bericht der Nachrichtenagentur PTI über verstorbenen Indigo-Piloten (archiviert)

dpa-Faktencheck: Pilotenverband: Zahl der Todesfälle in 2021 nicht gestiegen

Faktencheck der Nachrichtenagentur AP mit Stellungnahme der US-Behörde FAA (archiviert)

dpa-Faktencheck über erfundenen Zusammenhang zwischen Todesfall und Impfung

Weiterer dpa-Faktencheck über erfundenen Zusammenhang zwischen Todesfall und Impfung

dpa-Faktencheck: Schwere Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung sind sehr selten

Blogbeitrag mit der Behauptung (archiviert)

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