Selbstbestimmungsgesetz

Geschlecht ändern: Für Minderjährige gilt weiter Mitspracherecht der Eltern

25.08.2023, 15:41 (CEST)

Das von der Bundesregierung beschlossene Selbstbestimmungsgesetz sorgt weiter für Aufregung im Netz. Doch nicht jede Kritik daran beruht auf Tatsachen.

Die Bundesregierung hat das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Es richtet sich an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen. Künftig soll jeder in Deutschland sein Geschlecht und seinen Vornamen selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. Nun kursiert im Netz die Behauptung, Jugendliche ab 14 Jahren bräuchten für die Änderung ihres Geschlechtseintrags keine Zustimmung der Eltern mehr. Und jeder, der Transpersonen mit ihrem biologischen Geschlecht anspricht, müsse künftig mit empfindlichen Strafen von bis zu 10.000 Euro rechnen. Stimmt das so?

Bewertung

Es stimmt nicht, dass Jugendliche ab 14 Jahren künftig ihr Geschlecht ändern dürfen, ohne die Zustimmung der Eltern einzuholen. Es soll auch nicht generell verboten werden, Betroffene mit früheren Namen oder Pronomen anzusprechen. Eine Ansprache mit der falschen Namens- oder Geschlechtsnennung kann nur zu einem Bußgeld führen, wenn dies wiederholt und vorsätzlich beziehungsweise in schädigender Absicht passiert.

Fakten

Begriffsdefinitionen

Das Gesetz richtet sich an eine Reihe von Menschen. «Trans» sind Personen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. «Inter» bedeutet angeborene körperliche Merkmale zu haben, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen. «Nicht-Binär» wird als Selbstbezeichnung für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, definiert.

Minderjährige und die Geschlechtsänderung

Laut dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung sollen Minderjährige bis 14 Jahre keinen Antrag auf Geschlechtsänderung einreichen können, dies bleibt den Erziehungsberechtigten vorbehalten. Jugendliche ab 14 Jahren können den Antrag selbst einreichen, brauchen aber die Zustimmung der Eltern. Beratungsangebote sollen sicherstellen, dass Minderjährige ihre Entscheidung wohlüberlegt treffen.

Stimmen die Sorgeberechtigten nach ausreichender Beratung einer vom Kind gewünschten Geschlechtsänderung nicht zu, kann ein Familiengericht dies unter Umständen an deren Stelle tun, wenn es das Kindeswohl als gefährdet ansieht.

Bei einer Gefährdung des Kindeswohls - sei es körperlich, geistig oder seelisch - hat ein Familiengericht nach Paragraf 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich verschiedene Instrumente, um Kinder zu schützen. Im äußersten Fall kann es den Eltern auch das Sorgerecht teilweise oder vollständig entziehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass zur Menschenwürde und zum Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung auch das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung gehört. Bislang galt das sogenannte Transsexuellengesetz. Betroffene empfanden dieses als demütigend. Es sieht vor, dass Menschen Vornamen und Geschlecht erst nach einem psychologischen Gutachten und einer gerichtlichen Entscheidung offiziell ändern dürfen. Das Verfahren ist langwierig und teuer. Wesentliche Teile des Gesetzes wurden vom Bundesverfassungsgericht mehrfach für verfassungswidrig erklärt.

Bußgelder

Es soll nicht grundsätzlich verboten werden, Betroffene mit früheren Namen oder Pronomen anzusprechen. Ein vorsätzliches wiederholtes oder intensives Verhalten kann bereits von bestehenden Regelungen erfasst werden, zum Beispiel, wenn es sich um Mobbing handelt, das rechtlich etwa als Beleidigung gesehen werden könnte. Die kann Paragraf 185 des Strafgesetzbuches zufolge mit einem Bußgeld geahndet werden.

Eine Strafe in Höhe von bis zu 10 000 Euro könnte dem Selbstbestimmungsgesetz zufolge tatsächlich drohen - aber nicht, wenn man Betroffene einfach nur mit falschem Namen anspricht. Das Bußgeld ist vielmehr bei einem absichtlichen Verstoß gegen das sogenannte Offenbarungsverbot vorgesehen. Demnach dürfen Menschen frühere Geschlechtseinträge ohne Zustimmung der Betroffenen nicht offenbaren oder ausforschen. Das regelt bereits seit 1981 Paragraf 5 des Transsexuellengesetzes. Damit sollen Menschen gegen ein Zwangs-Outing geschützt werden.

Das Selbstbestimmungsgesetz sieht auch Einschränkungen vor. Menschen sollen es nicht missbrauchen können, um unterzutauchen oder sich einer Strafverfolgung zu entziehen. Angehörige sollen frühere Vornamen und Geschlechtseinträge von Betroffenen weiter verwenden können.

Änderungsfristen

Theoretisch können Betroffene den Eintrag ändern, so oft sie wollen. Das Gesetz sieht aber eine Sperrfrist von einem Jahr vor - erst dann soll eine erneute Änderung möglich sein. Dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zufolge liegt der Anteil der Personen, die bislang eine Änderung des Namens oder Geschlechts-Eintrags wieder rückgängig machen, konstant bei etwa ein Prozent.

Der weitere Weg des Gesetzes

Der Kabinettsbeschluss kann erst gelten, wenn der Bundestag ihm zugestimmt hat. Der Gesetzentwurf sieht ein Inkrafttreten am 1. November 2024 vor. 

(Stand: 25.8.2023)

Links

Video auf Facebook (archiviert)

Video auf X (archiviert)

Facebook-Post zu Strafen (archiviert)

Antidiskriminierungsstelle des Bundes über Trans, Inter und Nicht-Binär (archiviert)

Antidiskriminierungsstelle des Bundes über Inter (archiviert)

Selbstbestimmungsgesetz - Entwurf der Bundesregierung, (archiviert)

Paragraf 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (archiviert)

Paragraf 5 des Transsexuellengesetzes (archiviert)

Paragraf 185 Strafgesetzbuch (archiviert)

Bundesverfassungsgericht zum Personenrecht (archiviert)

Bundesverfassungsgericht zur Verfassungswidrigkeit des Transsexuellengesetzes (archiviert)

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