Falsche Zahlen verbreitet

Schwere Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung sind sehr selten

17.04.2023, 17:32 (CEST)

Zu schweren Impfnebenwirkungen zählt eine lebensbedrohliche Lage. Es kursieren immer wieder Behauptungen, solche Impfschäden beträfen in Deutschland sehr viele Menschen. Gibt es dafür Belege?

Im österreichischen Online-TV-Sender «Auf 1», der schon früher mit der Verbreitung von Desinformation auffiel, behauptet der deutsche Physiker Werner Bergholz am 11. April 2023: «Wir haben in Deutschland viele Millionen deutlich bis schwerwiegend Impf-Geschädigte». Bergholz beziffert die Zahl dieser Fälle auf 1 zu 20 bis 1 zu 30 Geschädigte. Sind diese Zahlen richtig?

Bewertung

Nein. Es gibt bislang in Deutschland keine Belege für viele Millionen Menschen mit schwerwiegenden Corona-Impfschäden. Schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen kann es aber - wie bei anderen Impfungen auch - in Einzelfällen geben.

Fakten

In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Sicherheit von Medikamenten zuständig.

Der jüngste PEI-Sicherheitsbericht zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Corona-Impfungen stammt von Ende Oktober 2022. Dort sind knapp 51 000 Verdachtsfälle auf schwere Nebenwirkungen aufgeführt - nach rund 188 Millionen Corona-Impfungen zu diesem Zeitpunkt.

Das entspricht laut PEI bei den schwerwiegenden Verdachtsfällen einer Melderate von 2,9 pro 10 000 Impfungen. Verdachtsfälle sind noch keine nachgewiesenen Impfschäden Es sind körperliche Reaktionen nach einer Impfung, die nicht zwangsläufig auch auf sie zurückzuführen sein müssen.

Zu schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen laut Arzneimittelgesetz unter anderem Impffolgen, die tödlich oder lebensbedrohend sind oder zu einer schwerwiegenden Behinderung führen.

In Einzelfällen hat es schwere Impfschäden gegeben. «Alle diese Schicksale sind absolut bestürzend, und jedes einzelne Schicksal ist eines zu viel, und die Menschen tun mir ehrlich gesagt auch sehr leid», sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach Mitte März in einem ZDF-Interview.

Nach Recherchen der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sind bis Mitte März in 13 der 16 Bundesländer 6600 Anträge auf Versorgungsleistungen nach einem Corona-Impfschaden eingegangen. Davon anerkannt wurden demnach 284.

Im Kern geht es um die Verhältnismäßigkeit, wie gut eine Impfung vor möglichen schweren Schäden durch eine Covid-Erkrankung schützt und wie oft schwere Impfschäden vorkommen. «Unter dem Strich bleibt das sehr gute Nutzen-Risiko-Verhältnis zugunsten der Impfung bestehen», erklärte etwa der Direktor der Klinik für Infektiologie der Berliner Charité, Leif Erik Sander, jüngst auf Twitter.

Bei Studien zu Myokarditis als schwere Nebenwirkung nach Covid-Impfungen ist der Kontext wichtig. So behauptet Werner Bergholz im «Auf1»-Interview, dass einer von 20 bis 30 Geimpften lebensverändernde Nebenwirkungen wie eine Herzelmuskelentzündung (Myokarditis) entwickle. Er stützt sich unter anderem auf eine Studie des Heidelberger Universitäts-Pathologen Peter Schirmacher von November 2022.

In dieser Untersuchung mehrerer Forschender, die 25 Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Impfung nach Obduktionen betrachtet, gingen 5 auf Myokarditis zurück. Schirmacher selbst sagte in einem Interview mit der Bayerischen Staatszeitung: «Unsere Untersuchung erlaubt keine Mengenaussagen und keine Hochrechnung und wir haben dies auch nie getan.» Obduktionen seien aber bei Todesfällen im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen wichtig und bundesweit gebe es zu wenig davon.

Bei mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 seien Herzmuskelentzündung (Myokarditis) und Herzbeutelentzündung (Perikarditis) sehr seltene Nebenwirkungen, heißt es im jüngsten Sicherheitsbericht des PEI.

Auch die Deutsche Herzstiftung sieht eine Myokarditis als seltene Impffolge an, die überwiegend mild verlaufe und von selbst ausheile. Bei einigen prädisponierten Patienten scheine es zu einer kritischen Immunantwort zu kommen.

Im jüngsten PEI-Bericht heißt es: «Auch wenn Todesfälle in zeitlicher Nähe zur der COVID-19-Impfung weltweit berichtet wurden, wurde in mehreren Studien gezeigt, dass COVID-19-Impfungen insgesamt und insbesondere auch bei älteren Personen nicht zu einer Übersterblichkeit führen.»

In der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts gibt es seit 2021 eine eigene Kodierung, die unerwünschte Nebenwirkungen bei der Anwendung von Covid-19-Impfstoffen ausweist. Die jüngsten Daten für 2021 liegen für Deutschland bei 218 Fällen.

(Stand: 17.4.2023)

Links

Paul-Ehrlich-Institut Sicherheitsbericht Ausgabe 4/2022 (archiviert)

Arzneimittelgesetz zu Nebenwirkungen (archiviert)

Interview mit Karl Lauterbach im ZDF vom 12.3.2023 (archiviert)

"FAZ" zu Versorgungsleistungen nach Corona-Impfschäden (archiviert)

Tweet von Leif Erik Sander vom 16.3.2023 (archiviert)

Studie zu Myokarditis im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung (archiviert)

Deutsche Herzstiftung zu Myokarditis als Impffolge (archiviert)

Kodierung für Impfschäden (archiviert)

Archivierte Sterbefälle Deutschland 2021

Archivierte Behauptung beim Sender "Auf 1" (Video archiviert)

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