Corona-Impfung

Impfnebenwirkungen in Insa-Umfrage nicht definiert

31.03.2023, 15:50 (CEST)

Es klingt nach einer schockierenden Zahl: Jeder vierte Betroffene soll «schwere Impfnebenwirkungen» nach einer Corona-Impfung erlitten haben. So heißt es zumindest in mehreren Online-Artikeln. Doch die Umfrage, auf der diese Behauptung fußt, gibt eine solche Schlussfolgerung nicht her.

Bewertung

Eine Umfrage in der allgemeinen Bevölkerung liefert keine Daten über bestätigte Impfnebenwirkungen. Die Angaben beruhen allein auf den angeblichen Erfahrungen der Befragten. Es gab keinerlei Abgleich, ob entsprechende ärztliche Diagnosen diese persönlichen Wahrnehmungen untermauern.

Fakten

Das Portal «Schuler! Fragen, was ist» des früheren «Bild»-Journalisten Ralf Schuler hat die Umfrage beim Meinungsforschungsinstitut Insa in Auftrag gegeben. Schuler stellte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) die konkrete Insa-Auswertung mit den genauen Daten zur Verfügung.

Demnach nahmen zwischen 10. und 13. März 2023 deutschlandweit 2002 Menschen daran teil. Von ihnen waren 85 Prozent (1700 Befragte) mindestens ein Mal gegen das Coronavirus geimpft.

Diese 1700 Menschen wurden etwa gefragt: «Hatten Sie nach mindestens einer Impfung gegen das Coronavirus Nebenwirkungen, die Sie persönlich auf die Impfung zurückführen?» 46,3 Prozent (786 Personen) gaben an, keinen Impfreaktionen ausgesetzt gewesen zu sein. 29,4 Prozent (499) wollen der eigenen Erfahrung zufolge leichte Nebenwirkungen verspürt haben, 16,8 Prozent (286) starke und 6,3 Prozent (107) sowohl starke als auch leichte.

Seit Veröffentlichung der Ergebnisse Mitte März auf einem Blog wird häufig etwa in Überschriften oder Artikeln, die sich mit der Umfrage auseinandersetzen, der Anschein erweckt, es handle sich um einen Fakt: Dass jede und jeder vierte Geimpfte schwere Nebenwirkungen erlitten hätte.

Doch diese Interpretation ist falsch. In Deutschland haben bis Ende März 2023 rund 65 Millionen Menschen mindestens eine Dosis eines Corona-Mittels erhalten. Hätte ein Viertel davon mit schweren Nebenwirkungen zu kämpfen gehabt, wären das mehr als 16 Millionen Menschen. Das wäre nicht unbeobachtet geblieben. Darüber hätte es ganz sicher eine breite mediale, medizinische, politische und gesellschaftliche Debatte gegeben.

Verdachtsfälle sind keine nachgewiesenen Nebenwirkungen

Bei Umfrage wie dieser von Insa sollte man immer bedenken: Sie geht allein auf individuelle Erfahrungen von angeblich Betroffenen zurück - und nicht auf belastbare medizinische Fakten. Es wurden keine ärztlichen Diagnosen abgefragt, die die Selbstwahrnehmung in irgendeiner Weise belegen würden.

Es ist nämlich durchaus denkbar, dass manche der Befragten zum Beispiel Schmerzen an der Einstichstelle als leichte Reaktion angeben, andere dasselbe Symptom als starke Nebenwirkung. Noch andere betrachtet den Schmerz womöglich als vernachlässigbar - weil von Medizinern vorhergesagt - und geben an, keine Nebenwirkungen erlitten zu haben.

Dabei sind «schwerwiegende Nebenwirkungen» klar definiert: Nach Paragraf 4 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind es Impffolgen, «die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen». Außerdem stuft das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) «unerwünschte Reaktionen von besonderem Interesse» als schwerwiegende Verdachtsfälle ein, auch wenn sie weniger gravierend sind als im AMG definiert.

In Deutschland besteht für Ärztinnen und Ärzte eine Meldepflicht für Verdachtsfälle und unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Das PEI sammelt die gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung.

Im jüngsten PEI-Bericht für den Zeitraum bis Ende Oktober 2022 ist von knapp 51 000 Verdachtsfällen auf schwere Nebenwirkungen nach einer der rund 188 Millionen Corona-Impfungen die Rede. Wichtig dabei ist aber: Verdachtsfälle sind keine nachgewiesenen Nebenwirkungen - und schon gar keine Impfschäden. Als Verdachtsfälle gelten körperliche Reaktionen nach einer Impfung, die nicht zwangsläufig auch auf diese zurückzuführen sein müssen, wie das PEI schreibt.

Nach Recherchen der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sind bis Mitte März in 13 der 16 Bundesländer 6600 Anträge auf Versorgungsleistungen nach einem Corona-Impfschaden eingegangen. Davon anerkannt wurden demnach 284. Zu diesem Zeitpunkt hatten in diesen 13 Ländern knapp 62 Millionen Menschen mindestens eine Corona-Impfung erhalten.

Eine ähnliche Umfrage wie nun für «Schuler! Fragen, was ist» hat Insa schon vor Monaten im Auftrag eines anderen Portals durchgeführt. Auch im Dezember 2022 lieferten die damaligen Ergebnisse keine Daten über bestätigte Impfnebenwirkungen.

(Stand: 31.3.2023)

Links

RKI-Impfdashboard (archiviert am 31.3.2023)

RKI zu Impfungen nach Bundesländern (Stand: 13.3.2023)

§ 6 Infektionsschutzgesetz u.a. über Meldepflicht (archiviert)

§ 4 Arzneimittelgesetz u.a. über schwerwiegende Nebenwirkungen (archiviert)

PEI-Bericht zu Corona-Impfungen vom Dezember 2022 (archiviert)

PEI über Verdachtsfälle (archiviert)

PEI über schwerwiegende Verdachtsfälle (archiviert)

«FAZ» über Impfschäden-Anträge bis 13.3.2023 (archiviert)

dpa-Faktencheck zu einer Umfrage im Dezember 2022

Blog über «Schuler! Fragen, was ist»-Auswertung der Insa-Umfrage (archiviert)

Artikel über Insa-Umfrage (archiviert)

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